200 Jahre Pioniergeist: Wissenschaftlicher Fortschritt und ethische Verantwortung
Der Name Fritz Haber steht für die Dualität von Fortschritt und Zerstörung: großartige wissenschaftliche Errungenschaften – und die verheerenden Folgen ihres Einsatzes für zerstörerische Zwecke. Der Chemiker forschte und lehrte von 1894 bis 1911 in Karlsruhe und revolutionierte dabei die Landwirtschaft. Später wandte er sich der Kriegsforschung zu und entwickelte Giftgas.
Die Revolution der Landwirtschaft
1904 begann Fritz Haber mit Experimenten zur Ammoniaksynthese. Nach einem Weg, das stechend riechende Gas künstlich herzustellen, suchten damals viele Wissenschaftler, denn Ammoniak hatte sich in Verbindung etwa mit Schwefelsäure als hervorragender Dünger erwiesen. Und weil die Bevölkerung in den europäischen Ländern während der Industrialisierung rasant wuchs – bis 1900 hatte sich die Zahl der Deutschen binnen eines Jahrhunderts auf 55 Millionen mehr als verdoppelt –, mussten die Erträge der Landwirtschaft gesteigert werden. Gleichzeitig war natürlicher Dünger wie Tierdung knapp. Ammoniak aus den Bestandteilen Stickstoff und Wasserstoff herzustellen, lag daher nahe, gelungen war es aber noch niemandem.
Durchbrüche: Druck, Temperatur und die industrielle Umsetzung
Der entscheidende Kniff, der schließlich den Durchbruch brachte, war die Kombination aus starkem Druck und hoher Temperatur. Im Frühjahr 1909 experimentierte Haber dazu mit verschiedenen exotischen Katalysatoren wie Osmium und Uran. Mit einer neu entwickelten Apparatur – geeignete Hochdrucktechnologie wie Konusventile hatte es bis dahin nicht gegeben –, bei einem Druck von 185 Atmosphären und einer Temperatur von 600 bis 900 Grad tropfte aus dem Druckofen im Labor schließlich flüssiges Ammoniak.
Habers Durchbruch im Labor auch industriell umzusetzen, ist der Verdienst des Ingenieurs Carl Bosch. In den BASF-Laboren in Ludwigshafen führten Boschs Chemiker zehntausende Versuchsreihen durch und fanden schließlich einen Katalysator, der effizient, stabil und wirtschaftlich war: „Schmutziges Eisen“, ein eisenhaltiges Material, das man mit Kaliumoxid und anderen Verunreinigungen versetzte, um die katalytische Wirkung zu verbessern, wurde zum industriellen Standardkatalysator für das Haber-Bosch-Verfahren.
Vom Dünger zur Munition – und zum verheerenden Einsatz von Giftgas
Dafür, dass mit wissenschaftlichem Fortschritt auch ethische Herausforderungen einhergehen können, ist die Geschichte von Fritz Haber ein eindringliches Beispiel: Während des Ersten Weltkriegs nutzte das Deutsche Reich das Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Sprengstoff und Munition – mit Ammoniak als Ausgangsstoff für die Erzeugung von Salpetersäure, die sich wiederum mit Basen zu Salpeter umsetzen lässt. Als die Alliierten Deutschland mit einer Seeblockade von den natürlichen Salpeterquellen in Südamerika abschnitten, wurde die synthetische Produktion von Ammoniak entscheidend für die Fortführung des Kriegs. Die Folge waren Düngermangel und Ernteausfälle. In vier Jahren Krieg starben etwa 800 000 Deutsche an Unterernährung.
Als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin arbeitete Haber darüber hinaus an der Entwicklung von Giftgas: Am 22. April 1915 überwachte er – ausstaffiert mit einer selbst entworfenen Chemiker-Uniform – persönlich den ersten großflächigen Einsatz von Chlorgas nahe der belgischen Stadt Ypern, dem Tausende Soldaten zum Opfer fielen und der eine neue Ära der Kriegsführung einleitete. Chemische Waffen töteten im Ersten Weltkrieg schätzungsweise 92 000 Soldaten auf besonders qualvolle Weise und verwundeten oder verstümmelten 1,3 Millionen weitere.
Nobelpreis und Kontroversen
Fritz Haber und seine Motive zu verstehen, fällt heute schwer: Sein Lebensweg ist ein Beispiel für den eines intellektuellen Bürgers des 19. Jahrhunderts. Als Sohn eines Kaufmanns drängte es ihn in die Wissenschaft, wo er nicht nur als brillanter Forscher in Erscheinung trat, sondern auch ein als seinen Studierenden zugewandter Lehrer beschrieben wird, der seine Vorlesungen mit beißendem Humor würzte.
Sein Team in Karlsruhe war international besetzt mit Wissenschaftlern aus Großbritannien, Amerika, Japan und Osteuropa. Darunter Robert Le Rossignol und Friedrich Bergius, die maßgeblich zur Entwicklung der Hochdrucktechnik beitrugen – Bergius und Bosch bekamen 1931 den Nobelpreis für ihre gemeinsamen Beiträge zur großtechnischen Umsetzung chemischer Hochdruckverfahren. Haber gehörte zu dem damals großen Kreis von Juden im Kaiserreich, die durch Leistung für den Staat und das Militär ihr Deutschsein besonders demonstrieren wollten. Der Umstand, dass er im Jahr des Kriegsendes 1918 mit dem Nobelpreis für seine Entwicklung der Ammoniaksynthese ausgezeichnet wurde, während ihn die Alliierten wegen seiner Rolle im Gaskrieg als Kriegsverbrecher suchten, zeigt die ganze Zwiespältigkeit seines Forscherlebens.
mex, 16.06.2025
200 Jahre Pioniergeist: Wenn die Chemie stimmt
Die Chemie bot während der Frühindustrialisierung Lösungen für die begrenzten natürlichen Rohstoffe Deutschlands: Chemikalien wie Pottasche und Soda waren essenziell für die Ledergerbung sowie die Herstellung von Leinen, Glas, Seife und Schießpulver. Herausforderungen bestanden in der Entwicklung neuer Verfahren und der Trennung von Chemie und Maschinenbau. Die systematische Forschung und Differenzierung der Fächer durch Pioniere wie Karl Weltzien und den Maschinenbauer Ferdinand Redtenbacher waren wegweisend für den industriellen Fortschritt.
Erster Weltkongress der Chemie in Karlsruhe
Weltzien legte den Grundstein für die chemische Forschung am KIT. Er richtete zunächst bei sich zu Hause ein privates Labor ein, damit die Studenten praktisch üben konnten, und setzte sich gemeinsam mit Redtenbacher für die Trennung von Chemie und Maschinenbau ein, die damals didaktisch eng verbunden waren. 1851 richtete das Polytechnikum ein nach seinen Vorstellungen gestaltetes, modernes chemisches Labor ein, das Karlsruhe zu einem Zentrum der Chemieforschung machte.
Eine Folge dieser Entwicklung war der weltweit erste Fachkongress der Chemie im September 1860 in Karlsruhe. Organisiert von Weltzien und August Kekulé, versammelte sich die Elite der internationalen Chemie, um Begriffe und Symbole wie Atom, Molekül oder Basizität zu harmonisieren, denn diese waren damals noch nicht definiert. Obwohl die Forschenden nicht alle Fragen klären konnten, war die schlimmste Zeit der Verwirrung überwunden, wie Carl Engler (1842-1925), der „Nestor“ der Karlsruher Chemie, rückblickend bemerkte.
Karlsruhe als Brutstätte chemiewissenschaftlicher Durchbrüche
Engler forschte an Farbstoffen und Problemen der Farbenindustrie. 1884 begann er mit der Erdölforschung und gilt als Begründer der deutschen Mineralölwissenschaften. Als Aufsichtsratsmitglied der BASF bahnte er die industrielle Nutzung bahnbrechender Entdeckungen Karlsruher Wissenschaftler an. Etwa die Herstellung von Stickstoffdünger beruhend auf den Forschungen von Fritz Haber.
Lothar Meyer trat 1868 Weltziens Nachfolge an. Sein Werk „Die modernen Theorien der Chemie“ enthielt die erste Version eines Periodensystems. Überlegungen zu den Elementen der heutigen Hauptgruppen, sortiert nach Atomgewicht und Wertigkeit, präsentierte er 1869 Damit konnte Meyer die Eigenschaften der bis dahin unbekannten Elemente Gallium, Scandium und Germanium voraussagen.
Hans Bunte, Experte für Gas-, Brennstoff- und Feuerungstechnik, wurde 1887 auf den Lehrstuhl für Chemische Technologie berufen. Bunte schuf theoretische Grundlagen für die Wärmeerzeugung und bestimmte erstmals den Heizwert vieler Brennstoffe. Zudem entwickelte er Kohleveredlungsverfahren, mit deren Hilfe er Benzin, Stadtgas oder Grundchemikalien wie Aromaten oder Phenol erzeugen konnte. Zu einer Zeit, in der Erdöl noch nicht so verbreitet war, war die Bedeutung dieser Verfahren enorm. So machte Bunte Karlsruhe zu einem Zentrum der deutschen Energiewirtschaft.
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mex, 21.03.2025
Foto:
Meyer: KIT-Archiv;
Periodensystem: Wikipedia, zuletzt abgerufen am 21.03.2025, https://en.wikipedia.org/wiki/Lothar_Meyer#/media/File:Periodic_table_Meyer_1864.png, Public Domain, CC BY-SA 4.0;
Collage: KIT
Die Kuckucksuhr: Pop-Ikone aus Karlsruhe
Das ikonische Design der Schwarzwälder Kuckucksuhr hat seinen Ursprung in Karlsruhe. Entworfen hat sie der Eisenbahnenthusiast Friedrich Eisenlohr im Jahr 1850.
Das Gehäuse erinnert nicht von ungefähr an ein charmantes Bahnwärterhäuschen. Eisenlohr, der am Polytechnikum Karlsruhe lehrte, plante die meisten Bahnhöfe entlang der ab 1838 erbauten Linien der Badischen Staatseisenbahn. Darunter waren die Zughallen in Mannheim, Heidelberg und Baden-Baden sowie der alte Karlsruher Bahnhof, der sich am damaligen südlichen Stadtrand in der Nähe des heutigen Staatstheaters befand und als Vorbild für eine ganze Reihe von Bahnhöfen in Baden diente. Eisenlohrs Entwürfe für über 300 Bahnwärterhäuschen prägten das Erscheinungsbild der badischen Eisenbahnlandschaft.
Die Uhr entwarf Eisenlohr für einen Wettbewerb, den Robert Gerwig als Direktor der 1850 gegründeten Uhrmacherschule Furtwangen ausgerufen hatte, um das lahmende Schwarzwälder Uhrmacherhandwerk zu fördern. Bereits um 1855 wurde sie von der Firma Kreuzer, Gatz & Co. produziert und erlangte rasch weithin große Beliebtheit als romantisches Symbol, das noch heute weit über die Grenzen des Schwarzwalds hinausstrahlt.
Der Bauingenieur Gerwig war ein Alumnus der Polytechnischen Schule. Den größten Teil seines Berufslebens baute er Verkehrswege im Dienst der badischen Oberdirektion für Wasser- und Straßenbau, darunter die Schwarzwaldbahn, die wegen ihrer innovativen Streckenführung bekannt wurde.
Eisenlohr, an den ein Denkmal im Ehrenhof des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) erinnert, prägte als Lehrer viele bekannte Architekten der Region, wie etwa Reinhard Baumeister. Baumeister war ein Verfechter der Gartenstadtbewegung und verwirklichte in den 1870er-Jahren bis Mitte der 1890er-Jahre viele grüne Stadtteile in Baden, darunter die Mannheimer Oststadt, verschiedene Quartiere in Heilbronn, die Heidelberger Weststadt und Rastatts ehemalige Festungsareale. Außerdem plante er zahlreiche Bahnstrecken durch die malerischen Nebentäler der Rheinebene. Die Murgtal-, Renchtal- und Breisachbahnen sind bei Touristinnen und Touristen unverändert beliebt.
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200 Jahre Pioniergeist: Die Begründung des wissenschaftlichen Maschinenbaus
Als der Maschinenbauingenieur Ferdinand Redtenbacher 1841 an die Polytechnische Schule berufen wird, begründet er dort nichts weniger als den wissenschaftlichen Maschinenbau in Deutschland. Der Österreicher macht Karlsruhe durch seine ambitionierte Lehre nicht nur in der ganzen Technikwelt bekannt, sondern auch zu einem Treiber der Industrialisierung in Baden, Deutschland und darüber hinaus.
Redtenbacher war überzeugt, dass Maschinenbau mehr ist als nur Handwerk – er sah darin eine Wissenschaft, die auf mathematischen und physikalischen Prinzipien basiert. In einer Zeit, in der Maschinenbau hauptsächlich auf Erfahrung und handwerklichem Können beruhte und Ingenieure als bessere Mechaniker galten, setzte Redtenbacher auf eine Verwissenschaftlichung und Mathematisierung des Ingenieurwesens. Er führte mathematische und mechanische Prinzipien in das Fach ein, um Maschinen systematisch zu verstehen und zu entwerfen.
Redtenbachers Vision: Das viel weiter industrialisierte England durch wissenschaftliche Methoden in der technischen Entwicklung zu überholen. Mussten 1835 die Komponenten der ersten Eisenbahnlinie in Deutschland zwischen Nürnberg und Fürth noch komplett aus Großbritannien eingeführt werden, von den Schienen und Waggons über die Lokomotive mit den Kohlen bis hin zum Lokführer und Heizer, waren die deutschen Lokomotiven den englischen schon im Jahr 1847 technisch überlegen. Zum Beispiel die „Badenia“ der 1837 von Emil Keßler und Theodor Martiensen – beide Alumni des Polytechnikums – gegründeten Maschinenfabrik in Karlsruhe. Der deutsche Maschinenbau hatte sich bei der größten und komplexesten Technologie jener Zeit von den einstigen Vorreitern emanzipiert.
In den 1850er-Jahren schaffte die deutsche Schwerindustrie den Durchbruch, wozu zahlreiche Schüler Redtenbachers einen Beitrag leisteten: So arbeitete Heinrich Buz eng mit Rudolf Diesel zusammen und wurde Mitbegründer der Firma MAN, die den Dieselmotor entwickelte und zur industriellen Revolution in Deutschland beitrug. Und Eugen Langen entwickelte gemeinsam mit Nikolaus August Otto den Ottomotor, der auf der Pariser Weltausstellung von 1867 die Goldmedaille erhielt und die Grundlage für moderne Verbrennungsmotoren bildete.
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